Betrachtungstext: 4. Osterwoche – Montag

Christus ist die Tür – Der Gute Hirt ruft einen jeden einzeln – Auf Jesus hören in der Kirche

ICH BIN die Tür zu den Schafen (Joh 10,7), erklärt Jesus, der Gute Hirte, weiter. Und seine Zuhörer verstanden genau, was er damit meinte. Denn die einfachen Hürden von damals, in welchen die Schafe nachts Schutz fanden, bestanden aus vier Mauern aus aufgeschichteten Steinen, die nur an einer schmalen Stelle unterbrochen waren, durch die die Schafe ein- und ausgehen konnten. Vor diese Mauerlücke legte sich der gute Hirte, nachdem er die Herde in den Stall geführt hatte, und wurde dadurch selbst zur Tür. Wer aber nicht durch die Tür, sondern über die Mauer zu den Schafen zu gelangen sucht, warnt Jesus, ist nicht der gute Hirte. Und nochmals besteht er darauf: Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden (Joh 10,9). Jesus ist die Mitte unseres Glaubens, er ist Anfang und Ende der Schöpfung, das Alfa und das Omega, wie ihn der Priester in der Ostervigil beim Anzünden der Osterkerze verkündet. „Entzünde deinen Glauben“, stimmt der heilige Josefmaria ein. „Christus ist keine vorübergegangene Erscheinung. Keine Erinnerung, die sich in der Geschichte verliert. Er lebt! Jesus Christus heri et hodie: ipse et in sæcula!, sagt der heilige Paulus, Jesus Christus gestern und heute und immer!“1

Die selbstlose Liebe des Guten Hirten prägte sich denjenigen, die mit ihm in Berührung kamen, unvergesslich ein und verwandelte sie. Und so antworteten Petrus und Johannes auf die Verwarnung des Hohen Rats, nicht weiter vom auferstandenen Christus zu reden, bloß: Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben (Apg 4,20). Und Paulus, dem Jesus am Weg nach Damaskus erschien, erachtete ihn als sein Leben (vgl. Phil 1,21) und strebte nach nichts mehr, als Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit (1 Kor 1,24), zu verkünden.

Papst Franziskus klopft auch an unser Herz, damit wir unsere Liebe zum Hirten prüfen: „Es gibt da eine Dimension der christlichen Erfahrung, die wir vielleicht ein wenig im Dunkeln lassen: die geistliche und affektive Dimension. Das Gefühl, durch ein besonderes Band an den Herrn gebunden zu sein wie Schafe an ihren Hirten. Bisweilen rationalisieren wir den Glauben zu sehr und laufen Gefahr, die Empfindung für den Klang jener Stimme zu verlieren, der Stimme Jesu, des Guten Hirten, der anspornt und begeistert. Wie dies bei den beiden Emmaus-Jüngern geschehen ist, denen das Herz brannte, während der Auferstandene auf dem Weg sprach. Es ist eine wunderbare Erfahrung, sich von Jesus geliebt zu fühlen (...). Für ihn sind wir nie Fremde.“2


WÄHREND DER Jahre seiner Predigttätigkeit auf Erden schenkte der Herr unzähligen Menschen Licht. Die Heilige Schrift berichtet, dass jene, die sich ihm näherten, über seine Lehren staunten, weil sie so ganz anders waren als das, was sie zu hören gewohnt waren (vgl. Mk 1,22). Seine Worte waren von einer tiefen, neuen und über dieses Leben hinausreichenden Hoffnung erfüllt und bewirkten, dass sich zahlreiche Menschen um ihn scharten, wie Schafe, die die Stimme ihres Hirten hören wollen. Und Christus ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen (Joh 10,3), er spricht jedem ins Herz, in den Worten des Herrn können wir immer einen persönlichen Anruf entdecken. Sie enthalten auch keine Gedanken, die für unser tägliches Leben keine Bedeutung hätten. Wenn wir uns den Glauben zu eigen machen, wenn wir entdecken, dass er unseren tiefsten Wünschen eine Richtung gibt und unsere Lebenslage wirklich erhellt – unsere familiären, beruflichen, gesellschaftlichen Beziehungen –, dann bewegen wir uns frei, wie die Schafe, die in der Hürde ein- und ausgehen und sicher sind, Weide zu finden (vgl. Joh 10,9).

Wenn der Hirt seine Schafe aus der Hürde hinausgeführt hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm, denn sie kennen seine Stimme (Joh 10,4). Wenn wir uns mehr und mehr in die Glaubensinhalte vertiefen, werden wir die Stimme Christi immer deutlicher vernehmen. Paulus vergleicht den Glauben mit einem Schild, das dazu dient alle feurigen Geschoße des Bösen auszulöschen (Eph 6,16). Wenn wir diese Wahrheiten mit der Gnade Gottes in unser Leben aufnehmen, halten sie uns aufrecht, vor allem aber drängen sie uns dazu, in die Kreise, in denen wir uns bewegen, den Frieden des Herrn hineinzutragen. So wird beispielsweise derjenige, der sich die Wahrheit der Gotteskindschaft ganz zu eigen gemacht hat, den täglichen Schwierigkeiten gelassen gegenübertreten und die anderen gütig behandeln, weil er sie als seine Geschwister betrachtet, und er wird bedenken, dass uns diese Welt von Gott Vater als ein Zuhause geschenkt ist.

Die Begegnung mit Christus verwandelt uns. Sie führt uns dazu, nicht nur an etwas zu glauben, sondern einer neuer Mensch zu sein, der für den andern Christus darstellt. Der heilige Josefmaria wies darauf hin, dass „heilig sein, auf Erden glücklich sein und die ewige Glückseligkeit erlangen – darin besteht ja die Heiligkeit –, Christus sein bedeutet3.


DIE SCHAFE der Herde Christi kennen seine Stimme und hören nicht auf die Stimmen von Fremden (vgl. Joh 10,5.8). An Jesus glauben, bedeutet auch, einzutreten in die große Gemeinschaft von Männern und Frauen unterschiedlicher Herkunft und Lebensumstände, die die Kirche bilden. Der Apostel Johannes drückt dies wie folgt aus: Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt. Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus (1 Joh 1,3).

Bei der Vertiefung unseres Glaubens werden wir uns daher des Lehramtes bedienen. Dieses ist die Tür, um das vom Herrn hinterlassene Erbe zu wahren, den Familienschatz, der von Generation zu Generation weitergegeben wird; dieses ist die Stimme des Hirten, die auch im Lauf der Zeit nicht verstummt. Der Katechismus der Katholischen Kirche bringt dafür einen Vergleich: „Wie eine Mutter, die ihre Kinder sprechen und damit zu verstehen und zusammenzuleben lehrt, lehrt uns die Kirche, unsere Mutter, die Sprache des Glaubens, um uns in das Verständnis und das Leben des Glaubens einzuführen.“4

Vielfach haben wir den Glauben in unserem Elternhaus kennengelernt, wie etwa Timotheus, dem der heilige Paulus sagen konnte: Denn ich denke an deinen aufrichtigen Glauben, der schon in deiner Großmutter Loïs und in deiner Mutter Eunike lebendig war und der nun, wie ich weiß, auch in dir lebt (2 Tim 1,5). „Oft“, so sagte Papst Franziskus, „sind es die Mütter, die Großmütter, die sich der Weitergabe des Glaubens annehmen.“5 Da es sich um eine Begegnung handelt, die die Menschen verwandelt, ist ganz allgemein die Freundschaft der Kanal für die Weitergabe des Lebens mit Jesus, weil sie unentgeltliche Liebe ist, die sich ausdehnt.

Bitten wir Jesus, den guten Hirten, seine Stimme hören zu können, jenes Säuseln, das uns zum Glück führen will, hier und im Himmel.


1 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 584.

2 Franziskus, Regina Coeli-Gebet, 7.5.2017.

3 Hl. Josefmaria, Gesprächsnotizen, 28.8.1974.

4 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 171.

5 Franziskus, Tagesmeditation, 26.1.2015.