Barmherzig und solidarisch

Auf dem Weg der barmherzigen Liebe und der Solidarität Jesus Christus nachfolgen – Gedanken zum Fest der Kreuzerhöhung am 14. September

Das Fest der Kreuzerhöhung innerhalb des Jahres der Barmherzigkeit bietet sich an, uns über eine zentrale Aufgabe jedes Christen Gedanken zu machen: Nämlich über die Aufgabe, barmherzig und solidarisch zu sein. Das liturgische Fest der Kreuzerhöhung verweist auf das große Mysterium, dass die Größe Gottes für die glaubenden Augen ausgerechnet in der Selbsterniedrigung Gottes auf dem Kreuzweg und in der schmachvollen Zur-Schau-Stellung am Kreuz sichtbar wird. Die Liturgie lässt deshalb den Christushymnus des Philipperbriefes erklingen, wo uns dieses geheimnisvolle Paradoxon vor Augen geführt wird: „Christus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein… Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2,6-8). Gott solidarisiert sich mit dem Menschen bis zu dem Extrem, sich mit den Gemarterten und Verachteten der gesamten Menschheitsgeschichte der Bosheit des Geschöpfes auszusetzen „bis zum Tod am Kreuz“. Der Völkerapostel war entschlossen, mit diesem geheimnisvollen Auftreten des menschgewordenen Gottes seine Verkündigung zu bestreiten: Wir „verkündigen Christus als den Gekreuzigten: Für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit“ (1 Kor 1,23). Er stieß verständlicherweise auf Widerstand, war aber zu keiner Form von Relativierung bereit. Paulus erlag nicht der Versuchung, das Geheimnis auf das Maß des menschlichen Verstehens zu verkleinern, denn er wusste, dass „das Törichte an Gott weiser ist als die Menschen, und das Schwache an Gott stärker als die Menschen“ (1 Kor 1,25). Am Fest der Kreuzerhöhung bestaunt die Kirche sozusagen die Torheit Gottes, das Kreuz als irdischen Herrscherthron erwählt zu haben, als Realsymbol seiner Liebe, die den Tod überwandt und immer wieder neu überwindet.

Wir wollen am heutigen Fest nicht vergessen, dass der Heiland einen langen und schmerzlichen Weg bis zur Aufrichtung seines Kreuzes auf Golgotha zurücklegen musste. Der grausame Weg, auf dem der Herr nach der Tradition dreimal gestürzt war und sich wieder aufraffte, um das Ziel unserer Erlösung zu erreichen, ist ein Weg der Solidarität mit uns Menschen, ein Schauspiel der göttlichen Barmherzigkeit mit uns Sündern. Der heilige Josefmaria war so ergriffen von diesem großen Erweis der Liebe Gottes zu uns, dass er einen eigenen Kreuzweg verfasste, der an jeder der vierzehn Stationen verweilt, um in das Geheimnis der Liebe Gottes einzudringen und von ihnen zu lernen. Jemand hat einmal kommentiert: „»Der Kreuzweg« (so der deutsche Titel des kleinen Werkes) des heiligen Josefmaria ist das Werk, das mich am meisten inspiriert, sobald ich es in die Hand nehme und meditiere.“ Tatsächlich machen viele die Erfahrung, dass die angebotenen Überlegungen des Heiligen den Betrachter gleichsam in die Ereignisse von damals hineinziehen. Das war auch die Absicht seines Autors, denn er schreibt in der 14. Station: „Wir müssen uns in das Leben und Sterben Christi selbst hineinbegeben. Durch Abtötung und Buße sterben, damit Christus durch die Liebe in uns lebt. Und so in seine Fußspuren treten, um zu Miterlösern für alle Menschen zu werden.“

Kreuzweg und Kreuzestod Christi fordern uns auf, nicht passive Zuschauer zu bleiben, sondern mitzugehen, mitzufühlen, mitzuleiden, „mitzuerlösen“. Solidarität mit Jesus, den wir in den leidenden Menschen unserer Zeit sehen sollen und der unsere Barmherzigkeit erwartet (vgl. Mt 25,31-46). Solidarisch besonders mit denen, die aus Treue zum Glauben Verfolgung erleiden und mit ihrem Leben bezeugen, dass das christliche Kreuz das Zeichen des Sieges über den Tod und der Liebe Gottes zu uns Menschen ist.

Papst Franziskus hat in seiner Verkündigungsbulle zum Jahr der Barmherzigkeit zur Solidarität aufgerufen, die an der Solidarität Jesu Christi Maß nehmen muss: „Öffnen wir unsere Augen, um das Elend dieser Welt zu sehen, die Wunden so vieler Brüder und Schwestern, die ihrer Würde beraubt sind. Fühlen wir uns herausgefordert, ihren Hilfeschrei zu hören. Unsere Hände mögen ihre Hände erfassen und sie an uns heranziehen, damit sie die Wärme unserer Gegenwart, unserer Freundschaft und unserer Brüderlichkeit verspüren. Möge ihr Schrei zu dem unsrigen werden und mögen wir gemeinsam die Barriere der Gleichgültigkeit abtragen, der wir gerne freie Hand geben, um unsere Heuchelei und unseren Egoismus zu verbergen. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass die Christen während des Jubiläums über die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit nachdenken. Das wird eine Form sein, unser Gewissen, das gegenüber dem Drama der Armut oft eingeschlafen ist, wachzurütteln und immer mehr in die Herzmitte des Evangeliums vorzustoßen, in dem die Armen die Bevorzugten der göttlichen Barmherzigkeit sind.“ (Misericordiae vultus, Nr. 15)

Das Fest der Kreuzerhöhung lässt uns die Kraft der Liebe Gottes schauen, die uns zu den Werken der Barmherzigkeit befähigt.

Andreas Kuhlmann