Beten ist der Weg, Gott wirken zu lassen

Das Gebet ist die Grundlage eines geistgeführten Lebens. Dort wo treu und mit Ausdauer gebetet wird, geschehen die größten Veränderungen in einer Seele. Eine demütige Haltung hilft. Ergebnisoffenes Beten lässt Gott in der Seele wirken.

Theresia von Avila definiert das Gebet so: „Für mich ist das Gebet ein Aufschwung des Herzens, ein schlichter Blick zum Himmel, ein Ausruf der Dankbarkeit und Liebe inmitten der Prüfung und inmitten der Freude." Johannes von Damaskus schreibt: „Das Gebet ist die Erhebung der Seele zu Gott oder eine an Gott gerichtete Bitte um die rechten Güter" (zitiert nach KKK Nr. 2559; Johannes v. Damaskus, f. o. 3,24). Man kann kein Christ sein, ohne zu beten

Die Demut ist die Grundlage des Betens. Um die Gabe des Gebetes zu empfangen, müssen wir demütig gesinnt sein: Der Mensch ist vor Gott ein Bettler [Vgl. Augustinus, serm. 56,6,9]. Man kann zwar beten, ohne Christ zu sein, aber man kann kein Christ sein, ohne zu beten. Die Vernachlässigung des Gebets ist ein Hauptgrund für Stillstand im geistlichen Leben.

Was das Gebet mit dem Beter macht

Möglicherweise zeigen sich die sichtbaren Auswirkungen jedoch erst viel später. Nicht selten vergehen Monate, Jahre oder Jahrzehnte, bis die Auswirkungen sichtbar werden. Das regelmäßige ehrliche Gebet bewirkt zuerst einmal eine innere und somit kaum sichtbare Veränderung. Im Buch „Der Weg“ schreibt der heilige Josefmaria Escrivá: „Das Gebet ist das Fundament des geistlichen Gebäudes. - Das Gebet ist allmächtig.“ Das Gebet ist ein Schlüssel, der uns Zugang zum Herzen Gottes verschafft: „Nur das Gebet ist imstande, die Welt zu verwandeln“, wie es Pater Pio formulierte.

Das Gebet ist eine Begegnung mit Gott

Wenn das Gebet Begegnung mit Gott, mit Christus ist, so braucht diese als Voraussetzung die entsprechende seelische Disposition. Für ein richtiges Beten ist eine Haltung des Betens notwendig. In einem aussagekräftigen Bild hat Christus selbst diese Begegnung des Menschen mit Gott im Gleichnis vom Sämann anschaulich gemacht (Mk 4,1-9). Wie Jesus das Gleichnis auslegt

Der Same des göttlichen Wortes, das vom Sämann, Christus, ausgestreut wird, erfordert als Entsprechung im Hörenden, im Aufnehmenden den adäquaten Boden. Vier Arten von Böden klassifiziert Jesus in diesem Gleichnis. Dabei ist auffällig, dass es ganz allein vom Boden abhängt, ob es zu einer fruchtbaren Begegnung des Menschen mit Gott kommt. Der Same ist immer derselbe, er wird nicht etwa an den spezifischen Boden (Adressaten) angepasst. Er steht objektiv fest: das Wort der Verkündigung, das Wort der Schrift. Entscheidend ist nach diesem Gleichnis allein die Beschaffenheit des Bodens, wobei es den ersten beiden Arten an Tiefe fehlt (Mk 1,5; der Weg und der felsigen Boden), der dritten Art an Raum (zu viele Dornen). Nach Jesu eigener Auslegung (Mk 4, 13-20) sind die Böden als die seelische Disposition der das Wort aufnehmenden Empfänger zu deuten, die sowohl Tiefgang als auch Freiraum aufweisen müssen. Für das christliche Beten ist eine Korrelation von Gottes Offenbarung und seelischer Disposition des Gläubigen konstitutiv. Man muss Gott Raum in sich, in der Seele geben. Wenn auf unserem Acker überall bereits Dornen stehen, das heißt unsere Seele schon restlos besetzt ist mit Bildern, Träumen, Ängsten oder auch Sorgen (vgl. Mk 4,18), dann findet der Same, das Wort Gottes, keinen Raum in uns.

Jeder kann im Gebetsleben wachsen

Gott sagt: „Ihr ruft mich, und ich werde euch erhören (Jer 29,12)“. Wir rufen Ihn, wir unterhalten uns mit Ihm, wir wenden uns an Ihn. Deswegen müssen wir die Mahnung des Apostels in die Tat umsetzen, der sagt: „Sine intermissione orate“ (1 Thess 5,17), betet immer, was auch geschehen mag. Nicht nur von Herzen, sondern mit ganzem Herzen, wie es der heilige Ambrosius schreibt.

Ist solches Beten nicht für die meisten Christen unerreichbar?

Aber bedeutet die Empfehlung, beständig die Vereinigung mit Gott zu suchen, nicht, ein derart erhabenes Ideal hinzustellen, dass es für die meisten Christen unerreichbar bleibt? Das Ziel ist wirklich hoch, doch nicht unerreichbar. Der Weg zur Heiligkeit ist ein Weg des Gebetes; und das Gebet muss nach und nach in der Seele Wurzeln schlagen, so wie ein kleines Samenkorn, das sich später in einen dichtbelaubten Baum verwandelt.

Gebet ist kein Ritual und kein Fluchtweg

Das ist eine großartige Lehre für alle: Wir sind in die Probleme des Lebens und viele komplizierte Situationen versenkt beziehungsweise verwickelt. Wir müssen uns schwierigen Momenten und Entscheidungen stellen, die uns nach unten ziehen. Aber wenn wir nicht erdrückt werden wollen, müssen wir alles nach oben zu Gott erheben. Genau das tut das Gebet, das kein Fluchtweg ist. Das Gebet ist kein magisches Ritual oder die Wiederholung auswendig gelernter Texte. Nein. Das Beten ist der Weg, um Gott in uns wirken zu lassen, um zu begreifen, was er uns auch in den schwierigsten Situationen mitteilen will, beten, um die Kraft zum Weitermachen zu haben. Viele Menschen haben das Gefühl, es nicht zu schaffen, und beten: „Herr, gib mir die Kraft, weiterzumachen.“

Wer ergebnisoffen betet, lässt Gottes Willen zu

Noch eines ist wichtig. Manchmal bestürmen wir Gott im Gebet und bitten ihn, dass er unbedingt dieses oder jenes für uns erwirkt. Das ist grundsätzlich nicht falsch, aber wir sollten das Ergebnis Gott überlassen. Manchmal ist das, worum wir so eindringlich beten, gar nicht das Beste für uns, weshalb es dann auch nicht geschieht. Gott weiß mehr. Es wird dann in vielen Fällen so sein, dass wir nach einer gewissen Zeit entdecken, dass es sogar gut war, dass Gott uns in dem konkreten Anliegen nicht geholfen hat. Wir verstehen dann, dass es richtig war, unser Gebet nicht so zu erhören, wie wir es unbedingt wollten. Insofern ist es gut, immer wieder darüber nachzudenken, ob wir das, worum wir bitten, Gottes Wille ist oder nicht. Dies bedeutet, im Namen Jesu zu beten.

Prof. Dr. Stephan Patt, Köln