Tanzend Seele und Körper stärken

Isabel Albors ist seit 1964 Ballettlehrerin und Direktorin der Ballettschule „Santa Cecilia”. Als Mitte der 1990er einige Kinder mit besonderen Bedürfnissen nach „Santa Cecilia“ kamen, entdeckte sie das beste Projekt ihrer Karriere.

Das erste Kind war Alex. Er litt an einer Kinderlähmung. Als Vierjähriger war er gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden. Von ärztlicher Seite hatte man ihm empfohlen, eine Rehabilitation zu machen. Seine Mutter Maribel, selbst Krankenschwester, hatte zufällig „Santa Cecilia“ gekannt. Zunächst schien es Maribel eigenartig, ihren Sohn zur Rehabilitation in eine Tanzschule zu bringen. Doch als sie merkte, dass die Tanzlehrerin schon nach ihrem ersten Treffen alles über die Kinderlähmung gelesen hatte, was aufzutreiben war, und ein paar besondere Übungen für ihr Kind ausgearbeitet hatte, war ihr klar, dass ihre Entscheidung richtig war. Alex ist ein großer Fan des Fußballvereins Barca und ein leidenschaftlicher Kinobesucher. Auch mit 23 Jahren geht er weiterhin jede Woche zur Therapie. „Wir schieben niemanden ab”, so Isabel.

Aktueller Sitz des Tanzstudios Santa Cecília, in L’Hospitalet de Llobregat.

Als nächstes kam Jordi. Er war kurz zuvor wegen einer Spina bifida operiert worden. Die ärztliche Empfehlung für die Familie lautete: „Er braucht keine besondere Rehabilitation, stimuliert ihn wie ein normales Baby“. Seine Tante aber arbeitete in der Tanzschule bei Isabel und erzählte ihr von dem Baby und dessen Geschichte. Isabel nahm die Sache sofort in die Hand. Die Eltern kamen mit Broschüren, die ihnen von den Spezialisten mitgegeben wurden. Darin hieß es: Inkontinenz, geistige Retardierung, Rollstuhl, etc. seien normalerweise Folgen dieser Erkrankung… Isabels Reaktion: „Jetzt räumen wir die Bücher weg und fangen an zu arbeiten. Wenn Schwierigkeiten kommen, werden wir schon Lösungen finden.“ – Jordi schließt jetzt die Mittelschule ab. Rollstuhl braucht er keinen, die einzigen Räder, die er braucht, sind die seines Fahrrads…

Gott hat das bewirkt, nicht ich

Isabel hatte wenig Zeit, sie ist selbst Mutter von fünf Kindern und war Direktorin der Tanzschule. Aber es ließ ihr keine Ruhe im Inneren: Sie wollte über das rein beruflich abgesteckte Feld hinausgehen.

Schon Jahre, bevor sie mit behinderten Kindern zu arbeiten begann, interessierte sie sich für Anatomie und Psychomotorik. „Ich habe gelernt, studiert und amInstituto Médico del Desarrollo Infantil in Barcelona und an der Universität in Saragossa Kurse besucht, um die motorische und kognitive Entwicklung der Kinder besser zu verstehen. Ich wollte bei meinen Schülern erkennen können, falls etwas bei den Füßen, beim Rücken oder beim Sehvermögen usw. … nicht in Ordnung war.

Liebevolle Zuwendung und Professionalität charakterisieren den Stil von Santa Cecília.

Sie nahm das Angebot an, in einem Kindergarten Kurse zur Förderung der Motorik zu übernehmen. Als dann die ersten Kinder mit besonderen Bedürfnissen nach „Santa Cecilia“ kamen, hatte Isabel also schon jahrzehntelang ein Wissen für diesen Bereich aufgebaut.

Alles Zufall? Für sie war es Vorsehung, betont Isabel. „Gott hat bewirkt, dass in den letzten zwanzig Jahren mehr als sechzig Kinder mit verschiedenen Einschränkungen in die Tanzschule kamen. Ich habe das nicht selber gesucht. Sie sind einfach gekommen, und wir haben sie aufgenommen. Und es kommen immer mehr.“

Jedes Kind ist für sich eine eigene Welt

Alex und Jordi sind nur zwei der vielen Kinder. Isabel erinnert sich an jedes einzelne Kind mit seiner Geschichte: Ana, Judith, Andrea, David, Alba, Miguel... Ihr sind Kinderlähmung und Down-Syndrom vertraut, ebenso aber spricht sie über die Lipomeningocele, über das Rett-Syndrom, Asperger-Syndrom oder das Angelmann-Syndrom, sowie über die Folgen eines Tumors. Für ein Mädchen mit einem ganz seltenen Syndrom, weswegen die Kleine nicht sprach, suchte Isabel in einem Fachverlag spezielle Information. Man riet ihr: „Entwickeln Sie mit ihrem Wissen eine maßgeschneiderte Therapie für sie.“ Das war ihr Fokus: „Jedes Kind ist für sich eine eigene Welt. Man muss in der Arbeit in die Tiefe gehen, in Ruhe überlegen und schauen, was für jedes einzelne Kind am besten ist.“

Als diese Initiative Anfang der 1990er Jahre begann, war Isabel die einzige Lehrerin für 120 Ballettschülerinnen. Jetzt hat die Schule mehrere Standorte und ein Team von mehreren Physiotherapeuten und einer Psychologin, die von derselben Vision beseelt sind. Mittlerweile sind in der Schule 130 Ballettschüler, 120 Karate-Schüler und 30 Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen eingeschrieben.

Die Familien begleiten

„Fast immer ist es das erste Kind. Für die Eltern ist die Nachricht niederschmetternd. Die Illusionen sind zerstört, die Prognose ist meistens schlecht. Die Zukunft sieht nicht bewältigbar aus.”

Isabel Albors Philosophie: die Familien nicht alleine lassen, hart arbeiten und in jedem Moment überlegen, was sich erreichen lässt. Es geht vor allem darum, dass die Eltern sich begleitet wissen: „Es ist eine mehr menschliche als professionelle Begleitung: jemand, der mitleidet, der überlegt, wie es besser gehen könnte, der nachfragt, wie es geht.“

Die Schule unterrichtet 130 Ballettschülerinnen und 30 Kinder und Jugendliche in Rehabilitation.

Dann ist da auch die wirtschaftliche Seite der Rehabilitationszentren: Viele Familien sind nicht in der Lage, das Geld dafür aufzubringen, es ist ein unüberwindbares Hindernis. Daher hat „Santa Cecilia“ bis vor zwei Jahren seine Dienste unentgeltlich angeboten. Denn eine Familie mit einem kranken Kind und wenig Mitteln fühlt sich doppelt allein gelassen. Je mehr Kinder kommen, die besondere Unterstützung brauchen, umso öfter bittet man Familien, die dazu in der Lage sind, die Arbeit mit einem kleinen Beitrag zu unterstützen.

„Hinter jedem Kind steht eine Familie, findet sich viel Leid… Die Fähigkeit, sie anzunehmen und sie zu lieben, kommt nicht aus mir selbst, sie kommt von Gott.“ Isabel hat vor 18 Jahren begonnen, an Treffen christlicher Bildung teilzunehmen, die das Opus Dei organisiert. „Es ist notwendig, ein starkes Herz zu haben. Das Opus Dei hilft einem, sich weiterzubilden, um Frucht zu bringen. Es erinnert daran, dass jede kleine Geste, die du jemanden in deiner Umgebung schenkst, die Welt verändert. Es ist wie die Kraft des Gebetes: Man sieht sie nicht, aber sie ist da.“