Escrivás Botschaft ist „so alt und so neu wie das Evangelium“

52 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil dringt die Tragweite der Berufung aller Christen zur Heiligkeit tiefer ins Bewusstsein der Kirche vor. – Zum Gründungsfest des Opus Dei am 2. Oktober ein zweiter Beitrag von Andreas Kuhlmann

„Sie sind hundert Jahre zu früh gekommen!“ Dies gab ein Kirchenmann Alvaro del Portillo zu verstehen, als er 1946 im Auftrag des Gründers nach Rom gereist war, um eine gesamtkirchliche Anerkennung des damals achtzehn Jahre alten Opus Dei zu erhalten. Am 2. Oktober 1928 hatte Gott den 25 Jahre alten spanischen Priester Josemaría Escrivá in Madrid verstehen lassen, dass er eine fast vergessene Wahrheit mit all seiner Kraft neu verkünden sollte: Die Berufung aller Getauften zur Heiligkeit und zum Apostolat auf den vielfältigen Wegen durch den Alltag ihrer kleinen und großen Verpflichtungen in Beruf und Familie.

Inzwischen sind 89 Jahre seit der Gründung und 71 Jahre seit dieser Bemerkung gegenüber dem späteren ersten Nachfolger des Gründers vergangen. Der Würdenträger hatte damit gar nicht so Unrecht, denn tatsächlich war die Kirche damals noch weitgehend blind für diesen „neuen“ Weg der Heiligkeit, der eigentlich so alt wie das Christentum ist. Es hatte sogar Leute gegeben, die Escrivá deswegen einen Irrlehrer nannten. Für sie klang seine Verkündigung noch revolutionär und häretisch. So manchem Heiligen vor ihm war es ähnlich ergangen. So war es ein deutliches Ausrufezeichen für alle Welt, als ihn Papst Johannes Paul II. am 6. Oktober 2002 auf dem Petersplatz heiligsprach.

Schon zwanzig Jahre vor dem Ende des großen Konzils hatte der Gründer des Opus Dei in einem Brief an seine geistlichen Kinder schriftlich niedergelegt, was seit 1928 seine ständige Botschaft war: „Aufgrund ihrer gemeinsamen christlichen Berufung – es handelt sich um eine Forderung, die aus der Tiefe der Taufe kommt – müssen Priester und Laie in gleicher Weise nach der Heiligkeit streben (…). Diese Heiligkeit, zu der wir berufen sind, ist beim Priester nicht größer als beim Laien; denn der Laie ist nicht ein Christ zweiter Klasse.“ (Brief 2.2.1945, Nr. 8)

Gott sei Dank ist das im Bewusstsein der Kirche angekommen und will nun überall unter das Volk Gottes gebracht werden. Ganz in diesem Sinne heißt es im Schreiben der Deutschen Bischofskonferenz „Gemeinsam Kirche sein“ zur Erneuerung der Pastoral im Jahr 2015: „Darum ist im Text so häufig die Rede von einem Perspektivenwechsel und einem Mentalitätswechsel der Kirche als Ganzes. Die gemeinsame Taufberufung aller Getauften wird neu herausgestellt …“ (S. 6). Und an späterer Stelle: „Heiligkeit ist eine Grundberufung jedes Getauften, die in verschiedenen Formen gelebt wird. Folglich gibt es keine andere Heiligkeit für den Klerus als für die Laien. Jede Zweistufenethik ist hiermit überwunden.“ (S. 17).

Mit Sicht auf die Laien – die große Mehrheit im Volk Gottes – erklärte Josemaría Escrivá 1967 in einem Interview mit Time Magazine: „Das Opus Dei will bei Menschen aller Gesellschaftsschichten das Verlangen nach christlicher Vollkommenheit mitten in der Welt fördern. Es will den Menschen in der Welt – dem gewöhnlichen Menschen, dem Mann auf der Straße – helfen, ein konsequent christliches Leben zu führen, ohne dass er seine normale Lebensweise oder seine gewöhnliche Arbeit oder seine Pläne und Hoffnungen ändern müsste. Deshalb kann man sagen, wie ich vor vielen Jahren schon einmal schrieb, dass das Opus Dei so alt und so jung ist wie das Evangelium.“ (Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer, Nr. 24).

Auch unserem alten Kontinent ist zu wünschen, dass Escrivás Gründungsbotschaft noch tiefer verstanden und fruchtbar umgesetzt wird, um die Neuevangelisierung Europas auf Wegen zu beflügeln, auf denen schon die Urchristen gingen: Mitten in der Erfüllung der tagtäglichen Pflichten des Alltags in Familie, Beruf und Gesellschaft, geleitet und gestärkt vom Heiligen Geist, der allen Christen in der Taufe die Berufung zur Heiligkeit in die Seele eingesenkt hat. Wir dürfen gewiss sein: Vom Himmel aus fördert die Fürsprache des heiligen Josefmaria bei Gott den „Mentalitätswechsel der Kirche als Ganzes“, von dem die Deutsche Bischofskonferenz schreibt.