Es kommt ein Schiff geladen

Maria und die Menschwerdung Christi in einem Adventslied aus dem 15. Jahrhundert

Eine Frau steht am Hafen, am Ufer des Meeres. Sie schaut auf die hohe See hinaus. Seit Monaten wartet sie auf ihren Liebsten, der an Bord eines Schiffes unterwegs ist. Sie weiß, dass er kommen wird. Jeden Tag aufs neue schaut sie zum Horizont. Voll Sehnsucht. Jeden Tag aufs neue hofft sie die Umrisse des Schiffes zu erblicken, um dann schließlich ihren Liebsten in die Arme schließen zu können.

Sehnsucht und Freude. Diese beiden Gefühle schwingen mit in der Melodie des Liedes „Es kommt ein Schiff geladen“. Es ist eines der ältesten und bekanntesten Lieder zum Advent. Der erste Teil einer jeden Strophe hat eine getragene Melodie. Man hört förmlich im steten Wellengang das Wasser an die Schiffswand schlagen. Das Schiff, das sehnsüchtig erwartet wird. Der zweite Teil der Strophe klingt hingegen eher beschwingt fröhlich. Das Schiff erscheint am Horizont. Die Herzen der Matrosen an Bord, die Herzen der Wartenden am Ufer schlagen höher. Das Schiff erreicht schließlich den Hafen. Wiedersehensfreude, Jubel, Umarmungen.

Es trägt ein teure Last

„Es kommt ein Schiff geladen bis an sein höchsten Bord.“ – Solche Schiffsmetaphorik wirkt für ein Kirchenlied ein etwas eigenartig. Irgendwie geheimnisvoll. Was soll das Schiff? Was ist die Ladung, die „teure Last“, wie es in der zweiten Strophe heißt? Nach und nach gibt der Text des Liedes Antwort. Die teure Last ist „Gottes Sohn voll Gnaden, des Vater ewigs Wort“. Jesus Christus kommt, ist an Bord, hält Kurs auf das Ufer. Und wer ist dann mit dem Schiff gemeint? Maria, die Mutter Gottes. Sie trägt den Sohn Gottes, den Heiland in ihrem Mutterschoß.

Das Schiff geht still im Triebe

Der Herr kommt nicht mit Trara und großen Gefolge. Nein, er hat sich entschieden, sozusagen im Verborgenen, im Geheimen zu kommen. Getragen im Schoß einer einfachen Frau. „Zu Bethlehem geboren im Stall ein Kindelein. Das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast.“ – Mit diesen Zeilen deutet das Lied die Jungfrauschaft Mariens an. Der Heilige Geist hat sie überschattet. Sie blieb zeitlebens Jungfrau, so lehrt es die Kirche. Und so verehrt die Kirche die Mutter Gottes. Weil sie Jesus Christus vom Heiligen Geist empfangen und ihn der Welt geboren hat, hat Maria einen wichtigen Platz in unserem katholischen Glauben. Sie ist Urbild der Kirche. Wie Maria soll die Kirche Christus in die Welt tragen, ihm sozusagen ein Gesicht, Hände und Füße geben.

Gelobet musst du sein

Während des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde von den Konzilsvätern diskutiert, in welchem Dekret der mariologische Teil denn Eingang finden solle: im Dokument über Christus oder über die Kirche, oder soll ein eigenes Dokument dafür her? – Letztendlich wurden die Aussagen des Lehramtes zu Maria in das Dokument „über die Kirche in der Welt von heute“ eingebettet. Ein wunderbares Zeichen, eine tiefe Aussage: Maria gehört zu uns, sie gehört in die Mitte der Kirche, in unsere Mitte. Denn sie war ein Mensch wie wir. Sie kennt die Mühen des Alltags, die Sorgen um die Zukunft. Deshalb ist sie uns Menschen so nahe. Und die Menschen suchen ihre Nähe. Schauen wir uns nur einmal in den Kirchen und Kapellen um: Wo finden wir Maria? Doch in der Regel da, wo die meisten Kerzen brennen. – Die Menschen wenden sich an Maria, weil sie sich von ihr verstanden fühlen. Vielleicht erinnern sich auch viele daran, dass sie früher als Kinder selbst immer zur Mutter gegangen sind, wenn sie Probleme hatte, Trost suchten und Wärme brauchten. Die Mutter war ja immer da.

Da ist das Schiff an Land

Ohne eine gesunde Verehrung der Gottesmutter fehlte dem Glauben etwas. Es fehlten nicht nur die Kerzenmeere vor den Bildern... So wie in der Mitte jedes „Gegrüßet seist Du, Maria“ der Name Jesus ausgesprochen und angerufen wird, so führt jede gesunde Marienverehrung zur Mitte unseres Glaubens: zu Christus. Maria trug nämlich unsere Hoffnung auf Heil in ihrem Schoß und sie hat den Messias geboren. So ist sie wirklich die Gottesgebärerin, die Gottesmutter. Maria hat geglaubt und sich dem Herrn ganz anvertraut. So ist sie auch unsere Schwester und Vorbild im Glauben. Maria hat wie kein anderer Mensch sich um Jesus gekümmert, mit ihm gelebt, mit ihm gesprochen. So ist sie auch die Meisterin des Gebetes, das ja nichts anderes ist, als Umgang mit Gott.

„Der Anker haft' auf Erden, da ist das Schiff an Land. Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.“ –

So wie die junge Frau im Hafen voll Freude ihren Liebsten in den Arm nimmt, auf den sie so lange warten musste, so sollten auch wir voll Freude dem Fest der Geburt Christi entgegengehen. „Maria, Gottes Mutter, gelobet musst du sein. Jesus ist unser Bruder, das liebe Kindelein.“

von Pfr. Klaus Klein-Schmeink