Der 1. Mai – Tag der Arbeit - anders betrachtet

Nachdenkliches zum Gedenktag "Josef der Arbeiter“

Archäologen wissen, dass eine auf einem Hügel gebaute, dem Erzengel Michael geweihte Kapelle, nicht selten auf den Fundamenten einer heidnischen Kultstätte steht. Jene Glaubensverkünder des noch heidnischen und vom Namen her noch nicht existierenden Europa krönten Hügel, Haine und Quellen, die Ahnungen vom Übersinnlichen weckten, mit dem heiligen Kreuz.

Am 1. Mai fallen einem solche Gedanken ein. Denn als Papst Pius XII. im Jahre 1955 den liturgischen Gedenktag „Josef der Arbeiter“ einführte, schwebte ihm wahrscheinlich vor, die Blößen eines materialistisch geprägten Feiertags zu bedecken.

Materialistisch: Als Beispiel mag der Beschluss eines internationalen Arbeiterkongresses 1891 in Brüssel gelten, bei dem nicht nur die legitime soziale Forderung nach dem Achtstundentag erhoben, sondern besonders der Wille bekräftigt wurde, „dem Ersten Mai seinen bestimmten ökonomischen Charakter (...) und der Bekundung des Klassenkampfes, zu wahren."

Wer am „Tag der Arbeit“ zur Kirche geht, wendet den Blick von wehenden Fahnen und das Ohr von hohlen Phrasen ab. Er lässt jene andere Botschaft auf sich wirken, deren Mitte nicht ein Begriff – „die Arbeit“ – ist, sondern ein Mensch, ein richtiger Handwerker, Josef von Nazareth. Und dieser verweist auf den Jugendlichen, der jahrelang lernbegierig auf ihn geschaut hat und später „der Sohn des Zimmermanns“ (Mt 13, 55) genannt wurde: auf Jesus.

Wir dürfen uns vorstellen, dass für seine Mitbürger in Nazareth Josef der liebenswürdige Nachbar und zuverlässige Handwerker war. Ihnen blieb aber verborgen, dass er Träger der Verheißungen Israels war.

In der Werkstatt von Nazareth

Josef und der heranwachsende Jesus stehen zusammen in der Werkstatt von Nazareth. Sie lernen voneinander. Josef wird Jesus die Kunstfertigkeit eines guten Handwerkers und das Gespür für die Würde einer gut gemachten Arbeit gelehrt haben. Und der junge Jesus wird Josef ohne Worte das noch verborgene Geheimnis seiner Person verehrungswürdig gemacht haben. Beide zusammen verweisen auf die Würde der Arbeit aus ihren Händen: „Dieses Fest ist wie eine Heiligsprechung der Arbeit als gottgewollter Wert, und es zeigt, wie in der Gemeinschaft der Kirche jene Kernwahrheiten des Evangeliums widerhallen, die nach dem Willen Gottes in unserer Zeit besonders bedacht und beherzigt werden sollen“ (hl. Josefmaria, Christus begegnen 52)

Wer sich ins Evangelium vertieft wird ahnen, wie Josef seine Arbeit in die Nähe des Geheimnisses der Erlösung bringt. Ohne Worte, denn von ihm sind uns keine Worte überliefert. Durch Taten, umhüllt von Schweigen. Die wenigen Stellen im Evangelium die sich auf ihn beziehen, zeigen ihn als Handelnden. Aber einer, der zuerst ein Hörender ist, empfänglich für die göttlichen Eingebungen. Seine Handlungsweise, wie wir sie aus dem Evangelium kennen, hat eine klare Struktur: Hören, Aufnehmen, Handeln.

Es ist nicht schwer, sich den heiligen Josef als einen Mann der Tat vorzustellen, der schweigen, und deshalb zuhören kann. Die Taten, die er wortlos vollbringt, wurzeln in seinem Gebetsleben. In seiner Offenheit auf Gott hin erfährt er, dass seine Aufgabe, sein sonst unwichtiges Tun einen Sinn hat. Heute ist es schwieriger geworden als in früheren Zeiten, Sinn und Aufgabe der eigenen Arbeit wahrzunehmen. In einer arbeitsteiligen Welt sind Motivation und Sinn oft – wenn überhaupt – nur schemenhaft erkennbar. „Von irgendwas muss man doch leben“ wird für viele das einzig erkennbare „Wofür“. Jeder weitere Sinn geht aus dem Auge verloren. Die Aufgabe wird zum Selbstzweck, sinnlos, zerstörend, zerfressend. Das bloße „Machen“ wird zum Stress. Im Film „Moderne Zeiten“ gerät Charlie Chaplin buchstäblich ins Räderwerk einer monströsen Maschine. Dies ist das Drama der anonymisierten Arbeit schon damals im maschinellen und heute im computerisierten Zeitalter.

Überraschende Einsichten und verborgene Schätze

Eine von Glauben erhellte Sicht entdeckt im „Tag der Arbeit“ tiefe, für manche überraschende Zusammenhänge und verborgene Schätze.

Dem betend Nachdenkenden geht auf, dass der Mensch unter anderem deshalb Abbild Gottes ist, weil er von seinem Schöpfer den Auftrag empfangen hat, sich die Erde zu unterwerfen und sie zu beherrschen. „Indem er diesen Auftrag erfüllt, spiegelt der Mensch und jeder Mensch das Wirken des Weltenschöpfers selbst wider.“ (Johannes Paul II., Enz. Laborem exercens, 14.9.1981, 4).

Ihm geht auch auf, dass Gott ihn in den Garten Eden setzte, damit er ihn bebaue und hüte. (Gen 2,15) Der Bezug von Arbeit zum Bebauen und Hüten ist heute nicht einmal mehr einem Landwirt geläufig; viel weniger dem Büroangestellten in einem Großunternehmen oder dem Aufseher einer Schaltanlage in einem vollautomatisierten Industriewerk.

Schließlich geht einem auf, dass die Arbeit erlösend sein kann. „Indem der Mensch in Vereinigung mit Jesus, dem Handwerker von Nazareth und dem Gekreuzigten von Golgota, die Mühen der Arbeit auf sich nimmt, arbeitet er gewissermaßen mit dem Sohn Gottes an dessen Erlösungswerk mit. Er erweist sich als Jünger Christi, indem er bei der Tätigkeit, die er auszuführen hat, Tag für Tag sein Kreuz auf sich nimmt. Die Arbeit kann ein Mittel der Heiligung sein und die irdische Wirklichkeit mit dem Geist Christi durchdringen.“ (Katechismus der katholischen Kirche, 2427)

Denn man soll „sich nicht darauf beschränken, nur zu schaffen, herzustellen, anzufertigen. Die Arbeit wächst aus der Liebe, ist Zeichen der Liebe und zielt hin auf die Liebe. Wir erkennen Gott nicht nur im Betrachten der Natur, sondern auch im Erfahren des eigenen Tuns, im Erleben der eigenen Mühe. So wird die Arbeit zu Gebet und Danksagung.“(Christus begegnen 48)

Auch Gottes Ruhe nachahmen

Die bildhaft ausgedrückten sechs göttlichen Arbeitstage münden in die Ruhe des siebten Tages ein: er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte. (Gen 2,2)

Das Bild vom Ruhen Gottes nach vollendetem Werk hat etwas Geheimnisvolles. Es erinnert an das nötige schlichte Innehalten und Abstandnehmen von Hektik. Der Gestresste vollendet keine Werke. Auch jene nicht, die er zu Ende bringt. Denn er hat keine Zeit, um innezuhalten und wahrzunehmen, dass seine Arbeit Sinn hat. Heinrich Böll hält den Ruhelosen in seiner Novelle „Dr. Murkes gesammelte Schweigen“ einen Spiegel vor. Darin ist der arme Rundfunkredakteur verewigt, der vom Lärm und der pausenlosen Flut sinnloser Wörter gestresst ist. Er rettet sich davor, indem er aus den Tonbändern die Pausen herausschneidet, die Schnipsel zusammenklebt und, zuhause angelangt, ein ganzes Tonband Schweigen genießt.

Ein ungewöhnlicher Gedanke, reich an Konsequenzen, gerade in unserer Zeit: Sich Zeit für Gott erkämpfen, ihn auch in der Ruhe nachahmen.

von Josef Arquer