„Demut bedeutet: Uns so sehen, wie wir sind“

Das gewaltigste Ereignis der Geschichte, dass Gott durch einen Menschen ein Mensch wird, setzt die Demut, diese schwierigste aller Tugenden bei einem jungen Mädchen voraus. Zum Hochfest der Verkündigung des Herrn am 25. März schreibt Andreas Kuhlmann über die Demut unseres Gottes und seiner Mutter Maria.

Maria Verkündigung von Lorenzo Costa (1460-1536)

Bei meinem Religionsunterricht an einem Gymnasium ist es immer wieder spannend, zu Beginn einer Schulstunde vor dem heutigen Feiertag „25. März“ auf die Tafel zu schreiben und zu fragen: Was hat dieses Datum mit Weihnachten zu tun? Vermutlich würden nicht nur die Schüler vor einem Rätsel stehen. Dann helfe ich „wie eine Hebamme“ nach und frage, wie lange denn eine Schwangerschaft dauert. Nun geht vielen Schülern schon ein Licht auf. Ja, am 25. März feiert die Kirche die „Verkündigung des Herrn“, die Botschaft Gottes an Maria durch den Erzengel Gabriel, dass sie vom Heiligen Geist den Sohn Gottes Jesus Christus gebären wird. Dann lege ich noch nach und frage, warum weltweit mittags um 12 Uhr die Kirchenglocken läuten. Es ist der Aufruf zum Angelus-Gebet. Jeden Tag erinnert uns „Der Engel des Herrn“ an das Fest vom 25. März: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“

Marias Jawort hat Gott ermöglicht, in diese Welt einzutreten. Eigentlich kann man aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Gottes Demut wirkt harmonisch und auf wunderbare Weise mit der Demut dieser unscheinbaren Frau zusammen.

Das gewaltigste Ereignis der Geschichte, dass Gott durch einen Menschen ein Mensch wird, setzt die Demut, diese schwierigste aller Tugenden bei einem jungen Mädchen voraus. Nur so kann es Gott selbst Gnade empfangen. Am Ende er Begegnung mit dem Erzengel sagt es Maria selbst in ihrem Lobpreis: „Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut; siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter!“ Maria sieht sich so, wie wir uns alle sehen sollten: Klein und unbedeutend vor Gott. In einen stolzen Menschen hätte Gott in seiner unfassbaren Demut niemals Aufnahme finden wollen und können.

Die heilige Ordensfrau und Mystikerin Maria Faustyna Kowalska (1905-1938) drückt diese geheimnisvolle „Größe der Demut“ in ihrem Tagebuch so aus: „O Demut, du herrliche Blume, ich sehe, dass dich nur wenige Seelen besitzen. Ob deshalb, weil du so schön und zugleich schwer zu gewinnen bist? Sicher beides. Gott Selbst findet Gefallen an ihr. Über einer demütigen Seele stehen die Schleusen des Himmels offen und ein Meer von Gnaden strömt auf sie nieder. Wie schön ist eine demütige Seele. Aus ihrem Herzen steigt wie aus einem Weihrauchgefäß lieblicher Duft auf und dringt durch die Wolken bis hin zu Gott, um Sein Heiligstes Herz zu erfreuen. Einer solchen Seele versagt Gott nichts; sie ist allmächtig, sie beeinflusst das Schicksal der ganzen Welt.“

In diesen Worten zeigt sich der Grund, warum Maria die die wirkmächtigste Fürsprecherin bei Gott ist. Aber zugleich gelten sie für jede Menschenseele je nach dem, wie demütig sie ist. So fügt die heilige Faustyna hinzu: „Gott erhebt sie – die Seele – bis zu Seinem Thron. Je mehr sie sich demütigt, umso mehr neigt sich Gott herab zu ihr. Er verfolgt sie mit Seinen Gnaden und begleitet sie jederzeit mit Seiner Allmacht. Solche Seelen sind mit Gott am tiefsten verbunden.“ Dann betet Faustyna zur Gottesmutter: „O reinste, aber auch demütigste Jungfrau, hilf mir, tiefe Demut zu erlangen. Ich kann verstehen, weshalb es so wenige Heilige gibt – es gibt wenige Seelen, die tiefe Demut haben.“

Ganz in diesem Sinne schreibt der heilige Josefmaria Escrivá in seinem Büchlein „der Weg“: „Der Wert der Demut ist unermesslich. »Quia respexit humilitatem«... Nicht den Glauben und die Liebe und die unbefleckte Reinheit besingt das Jubellied unserer Mutter im Hause des Zacharias: »Denn Er hat gesehen die Demut seiner Magd, siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter«.“ Und in dem Band „Freunde Gottes“ kommt der Gründer des Opus Dei auf die Gottesmutter als unser Vorbild der Demut zurück: „Ein Blick in die Heilige Schrift zeigt uns, dass die unerlässliche Voraussetzung für die Bereitschaft, auf Gott zu hören, die Demut ist. Es wohnt die Weisheit bei den Demütigen (Spr 11,2), heißt es im Buch der Sprüche. Demut bedeutet, dass wir uns so sehen, wie wir sind, ungeschminkt, wahrhaftig. Indem wir unsere Armseligkeit begreifen, öffnen wir uns der Größe Gottes, und das ist es, was unsere eigentliche Größe ausmacht. Wie gut hat Unsere Liebe Frau, die heilige Mutter Jesu, das erhabenste Geschöpf unter allen, die je waren und je sein werden, dies verstanden! Maria lobpreist die Macht des Herrn, der die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht (Lk 1,52).“

Je demütiger der Mensch, umso mehr kann Gott mit ihm anfangen, umso mehr kann der Mensch dazu beitragen, diese Welt besser zu machen. Mitten in der Fastenzeit und ganz im Sinne dieser österlichen Bußzeit können wir von Maria den Wert der Demut lernen und sie dafür um ihre wirkmächtige Hilfe bitten.