Die Welt leidenschaftlich lieben

Buchbesprechung von Georg Alois Oblinger

Wenn von Heiligen die Rede ist, begegnet man zahlreichen Vorurteilen: Heilige sind meist Priester oder Ordensleute, die etwas Außergewöhnliches geleistet haben und nicht selten auf den Menschen von heute etwas „abgehoben” wirken. Vielen ist der Gedanke fremd, dass alle Getauften zur Heiligkeit berufen sind. Meist hängt dies mit einer falschen Sicht von Heiligkeit zusammen: Ein Heiliger ist ein Mensch, der Christus über alles liebt und auch die unbedeutendste Kleinigkeit des Alltags aus Liebe tut. Damit sind die Berufsarbeit, die Ehe und die Familie keine Hindernisse fair die persönliche Frömmigkeit, sondern der Weg zur eigenen Heiligung. 

Diese Gedanken klingen heute noch fast ebenso radikal wie zu. Beginn des 20. Jahrhunderts, Noch zu wenig haben sich die Gläubigen diese Denkweise angeeignet, die gerade das Zweite Vatikanische Konzil in „Lumen gentium” und „Gaudium et spes” deutlich dargelegt hat. Vermittelt hat diesen Denkansatz der spanische Priester Josemaría Escrivá (1902–1975); der im Jahr 1928 die Gemeinschaft des Opus Dei gründete. Christus hat die Welt leidenschaftlich geliebt und sich selbst hingegeben, um sie zu erlösen. Daher soll auch jeder Christ die Welt so lieben wie Christus und sich mit allen seinen Kräften dafür einsetzen, dass Christus erkannt und in der Welt immer mehr sichtbar gemacht wird. Mit diesem Kerngedanken hat Escrivá erstmals eine echte laikale Spiritualität entworfen, die sich rasch in der ganzen Welt ausbreitete und 1982 durch die Errichtung der Personalprälatur Opus Dei eine feste Form gefunden hat. Doch der Weg bis dahin war lang und beschwerlich. Immer wieder betete Escrivá: „Domine, ut videam!” – „Herr, lass mich sehen.” 

Wenn die Gründung dieses Werkes Gottes Wille war, dann musste der Gründer den Herrn stets neu bitten, seinen Willen kundzutun. Dabei war ihm die Zustimmung der kirchlichen Autorität sehr wichtig. Mit allem was er tat wollte er der Kirche dienen. Daher wurde die Liebe zur Kirche und zum Papst bald zum Wesenszug des gesamten Opus Dei. Dabei verfiel Escrivá aber nicht in romantische Verklärung, vielmehr sah er die Kirche stets nüchtern. Er sah, dass es in ihr auch Fehler und Sünden gab. Schon 1970 erkannte er, wie „eine falsche und missbräuchliche Interpretation des Konzils“ die Kirche von innen zerstörte. Dann sagte er öfters; „Mich schmerzt die Kirche.“ 

Die Lehre Escrivás, grundgelegt vor allem in seinem Aphorismen-Sammlungen „der Weg“, „Die Spur des Sämanns“ und „Im Feuer der Schmiede“, ist nun aber kein theologisches Konstrukt, sondern knüpft an am Alltag der Menschen. „Den Alltag heiligen, durch ihn sich selbst und die anderen heiligen“, so lautet der Kern seiner Botschaft. Hier, in ihren familiären wie beruflichen Pflichten sollen die Gläubigen sich bei allem Tun Christus vor Augen halten und seinem Vorbild nacheifern. Schließlich hat der Herr Jesus Christus selbst dreißig Jahre i Verborgenen gelebt und zumeist ganz gewöhnliche Dinge getan. Aus dieser Einstellung erwächst dann eine Wertschätzung der kleinen Dinge, die so zum Weg der Heiligung werden. 

Von Anfang an war daher klar, dass das Opus Dei allen Berufsgruppen offenstehen soll. So finden sich hier Akademiker ebenso wie Handwerker oder Angestellte. Da viele Berufe in besonderer Weise den Umgang mit Menschen einschließen, wird dort besonders deutlich, wie die Arbeit auch das Apostolat einschließen kann. So finden sich unter den Opus-Dei-Mitgliedern oftmals auch Politiker und Journalisten. Erstes deutsches Mitglied war Kurt Malangré, der später Oberbürgermeister von Aachen und Mitglied des Europa-Parlaments wurde. Auch der bekannte Historiker und Publizist Peter Berglar schloss sich dem Opus Dei an, der die erste deutschsprachige Escrivá-Biografie geschrieben hat. Jetzt hat der deutsche Opus-Dei-Priester Rolf Thomas eine Biografie vorgelegt, die eine sehr persönliche Note aufweist. Elf Jahre lang hat der Autor eng an der Seite Escrivás gearbeitet. So hat er sein Buch angereichert mit zahlreichen Begebenheiten und Zitaten des Gründers, die den Heiligen lebendig werden lassen. Damit wird auch Escrivás zentrales Anliegen unterstrichen: Heiligkeit ist lebbar! 

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Leseprobe 

Der Prälat des Opus Dei, Bischof Javier Echevarría, erinnert sich, wie eines Morgens im Jahre 1970 „der Vater“ rastlos und unruhig wirkte, als ob ihn eine tiefe Sorge umtriebe. Er wollte die heilige Messe feiern und seufzte tief, als er im Begriff war, die Kapelle zu betreten, so als wollte er eine drückende Last abschütteln. Auf Echevarrías Frage „Ist Ihnen nicht gut, Vater?“ antwortete er: „Mich schmerzt die Kirche.“ Auch Papst Paul VI. hatte zu jenen Zeiten seinen Schmerz wegen krisenhafter Erscheinungen in der Kirche geäußert. In einigen Ansprachen hatte er als eine der Ursachen für deren traurigen Zustand „eine falsche und missbräuchliche Interpretation des Konzils“ genannt, mit dem Aufkeimen zerstörerischer Kritik und dem Versuch „eine neue Kirche zu entwerfen“. Bischof Javier Echevarría bezeugt, wie sich Escrivá seelisch aufrieb: „Die Kirche schmerzte ihn, sagte er immer wieder, alle Seelen, die ihre Berufung verraten haben, schmerzten ihn; die Seelen, für die diese Untreue zum Stein des Anstoßes wurde, schmerzten ihn, es schmerzte ihn die Verwirrung, die die Feinde der Kirche zu stiften versuchten. Ihn schmerzte besonders, dass zahllose Wunden, die der Kirche zugefügt wurden, ‚nicht von fremder Hand kamen, sondern von solchen geschlagen wurden, die sie hätten beschützen müssen.‘ Deshalb sprach er oft vom nötigen Geist der Loyalität“. 

S. 86 f.

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Rolf Thomas: Josemaría Escrivá begegnen, Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2010, 157 Seiten, ISBN 978-3-86744-130-8

Die Tagespost, Würzburg 27.05.2010