Wissenschaftler auf der Suche nach der Seele

Eindrücke vom 10. Interdisziplinären Seminar in London

David Stefanovits (Zürich) stellte die berühmten Experimente von Libet über „Bewusstsein und freien Willen“ vor.

Gibt es in der Wissenschaft Platz für die Seele? Kann die Neurowissenschaft mit dem, was sie über das Gehirn weiß, auf ihre Existenz hinweisen? 40 Universitätsstudenten und Forscher aus verschiedenen Ländern und Disziplinen setzten sich anlässlich des 10. Internationalen Interdisziplinären Seminars mit dieser Frage auseinander.

Seit zehn Jahren treffen sich Forscher und Studenten aus verschiedenen Ländern und Disziplinen in London, um sich über zentrale Fragen klarer zu werden. Einige von ihnen nehmen an der vom Opus Dei erteilten Bildung teil, andere werden vom Inhalt und vom Stil der Debatte angezogen. Alle sind sie interessiert zu wissen, wie die anderen über Fragen denken, die sie selber sich stellen.

David Stefanovits (Zürich) stellte die berühmten Experimente von Libet über „Bewusstsein und freien Willen“ vor.

Mediziner, Physiker, Philosophen, Biologen, Mathematiker und Vertreter noch anderer Fachgebiete versuchen, dem menschlichen Geist auf den Grund zu kommen. Versammlungsort ist das Londoner Netherhall College. Letztes Jahr fragte man sich: Würfelt Gott? Das heißt: Ist der Zufall vereinbar mit einer Intelligenz, die Herr über die Natur ist?

Die diesjährige Frage war nicht weniger interessant: Kann die Wissenschaft, und konkret jene vom menschlichen Gehirn, uns etwas über Seele und Freiheit sagen? Kann sie ihr Vorhandensein oder Nichtvorhandensein beweisen? Auskunft darüber geben uns Dominic Burbidge, Lorenzo De Vittori und Antoine Suarez, die zu den Organisatoren und Referenten des Seminars gehörten.

Seele und Naturwissenschaft: Das scheinen zwei völlig verschiedene Welten zu sein. Welches Ziel verfolgte dieses Seminar?

Wir wollten die Seele im Licht der experimentellen Daten der heutigen Forschung betrachten, besonders der Neurowissenschaften. Man kann keine geistige Seele im Menschen bejahen, ohne zugleich auch mit auszusagen, dass sie durch Verstand und Willen gewisse körperliche Bewegungen steuert oder beeinflusst, etwa die Bewegung meiner Finger, wenn ich diese Antwort schreibe, oder meiner Lippen, wenn ich mit jemandem spreche. Die Grundfrage des Seminars war: Widerspricht diese Aussage den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen?

Üblicherweise heißt es, die Seele – falls sie existiert – sei rein geistig und deshalb unzugänglich vom Materiellen, von der sinnlichen Wahrnehmung her. Man verneint zwar nicht ihre Existenz, aber doch die Möglichkeit, sie nachzuweisen. Wie lässt sich diese Barriere eurer Meinung nach überwinden?

Marijan Biscan und Vuko Brigliević (Zagreb) befassten sich mit dem Bewusstsein von dem her, was wir über den Big Bang wissen.

Wir erheben nicht den Anspruch, die Existenz der Seele beweisen zu können. Wir wollten aber zeigen, dass die heutige Naturwissenschaft Phänomene anerkennt, die ihre Wurzeln außerhalb von Raum und Zeit haben. Sie gesteht also in gewisser Weise zu, dass das, was man durch die Sinne wahrnimmt, zum Teil von nicht-materiellen oder “geistigen” Vorgängen herrührt. Sehr lehrreich ist in diesem Zusammenhang, wie Thomas von Aquin das Eingreifen der Engel in die physische Welt beschreibt (Summa Theologica I, q 110).

Zu den Einzelthemen des Seminars gehörten unter anderem das Warum des Schlafes, das “computerähnliche” Funktionieren des Gehirns und die Evolution des Universums. Welches sind die interessantesten Schlussfolgerungen?

Der Schlaf ist ein Schlüssel zum Verständnis des Menschen und sogar des Universums. Er ist in einem gewissen Sinn ein paradoxes Phänomen, denn obwohl er anscheinend keinen klaren Evolutionsvorteil bringt, lassen die neurobiologischen Erkenntnisse vermuten, dass die Evolution kein schlafunabhängiges Gehirn hervorbringen könnte.

Die Teilnehmer bewiesen, dass sie sich nicht nur in dickleibigen akademischen Wälzern auskennen, sondern auch etwas von den Beatles gehört haben …

Der Mensch wäre demnach ein Wesen, das von Natur aus unfähig ist zu einem ununterbrochenen Bewusstsein. Wenn man diese Prämisse akzeptiert, so kann man zwanglos daraus ableiten, dass der Mensch einen Preis bezahlen muss, um intentional und geordnet zu handeln: nämlich das für den Schlaf typische aleatorische Verhalten. Das verträgt sich sehr gut mit den Prinzipien der Quantenphysik. Was aber nicht heißt, dass das menschliche Hirn als “Quanten-Computer” aufgefasst werden könne. Ein solcher nämlich ist eine von außen kontrollier- und benützbare Maschine, was für mein Gehirn nicht zutrifft.

Eine andere interessante Sache kam am Rande der Diskussion zur Sprache: In der quantentheoretischen Beschreibung des Universums spielt der menschliche Beobachter eine zentrale Rolle. Es stellt sich von daher das Problem, wie der Beobachter beim Big Bang präsent war.

Auffallend ist die Vielfalt der Wissensgebiete, von denen die Teilnehmer herkommen: Fast alle Disziplinen waren vertreten. Welches gemeinsame Interesse stand dahinter?

Im Letzten wollten wir zeigen, dass es (im Gegensatz zur Schlussfolgerung Kants) zwischen dem tiefen Wunsch eines jeden Menschen nach Freiheit und den Prinzipien der Naturwissenschaft keinen Gegensatz gibt.

Papst Benedikt XVI. sagte: Wer Gott aus der Wirklichkeit verbannt, ist nur scheinbar ein Realist. Er insistiert auf der Komplementarität von Wissens- und Glaubenserkenntnis. Ist euch sein Denken bekannt? Spielte es im Seminar eine Rolle?

Dieses Zitat steht in einem direkten Zusammenhang mit unseren Analysen: Wenn wir davon ausgehen, dass der Mensch frei ist, muss man auch davon ausgehen, dass es unsichtbare Intelligenzen hinter den Phänomenen gibt; und umgekehrt zerstört die Ablehnung Gottes die menschliche Freiheit.

Wir stellten auch fest, dass in gewissen Theorien der Ausdruck “real” so viel bedeutet wie “in der Raum-Zeit existierend” bzw. “körperlich existierend”, was zu einer gewissen Begriffsverwirrung führt. Wir unterstrichen demgegenüber, dass die Naturwissenschaft Existenzbereiche zulässt, die über das bloß Materielle hinausgehen. Schon die mathematischen Einsichten scheinen dies zu bestätigen, ebenso übrigens auch die künstlerische Kreativität, die beim abschliessenden Unterhaltungsabend zum Vorschein kam. Besonders zu erwähnen ist das beeindruckende Klavier-Recital von Mladen, einem Teilnehmer aus Kroatien.

Dies war nun schon die 10. Ausgabe des Seminars. Was zieht ihr für eine Bilanz?

Die heutige Wissenschaft zwingt uns keine deterministische Sicht der Welt auf. Wer also frei sein möchte, kann sich dafür entscheiden. Im nächsten Seminar wollen wir diese Schlussfolgerung genauer analysieren.