Der treue Sohn des Vaters

Hinführung zum Jesus-Buch von Papst Benedikt XVI. durch Bischof Dr. Kurt Koch, Basel

Im Jubiläumsjahr 2000 gab Papst Benedikt XVI. seine im Jahr 1968 erstmals erschienene und inzwischen in über zwanzig Sprachen übersetzte „Einführung in das Christentum" neu, aber völlig unverändert heraus und versah die Neuausgabe mit einem auf die vergangenen dreißig Jahre zurückblickenden Essay. Darin forderte er von einer Erneuerung der Christologie, sie müsse den Mut haben, „Christus in seiner ganzen Größe zu sehen, wie ihn die vier Evangelien zusammen in ihrer spannungsvollen Einheit zeigen" (1). In seinem Buch „Unterwegs zu Jesus Christus" aus dem Jahre 2003 stellte der Papst fest, die Krise des Christusglaubens habe in der Neuzeit mit einer „veränderten Art" begonnen, „die Heilige

Schrift zu lesen – der scheinbar allein wissenschaftlichen". Deshalb sei umgekehrt die „Frage, wie die Bibel zu lesen ist", mit der Christusfrage „untrennbar verbunden" (2).

Beide Postulate hat er nun in seinem Buch, das den schlichten Titel „Jesus von Nazareth" trägt, eingelöst. Der Papst selbst charakterisiert im Vorwort das Buch als Versuch, „einmal den Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, als den im eigentlichen Sinn darzustellen", und zwar in der Hoffnung, dass auch die Leser „sehen können, dass diese Gestalt viel logischer und historisch betrachtet viel verständlicher ist als die Rekonstruktionen, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten konfrontiert worden sind" (3). Unwillkürlich wird man bei diesem anspruchsvollen Vorhaben, die Stimmigkeit der biblischen Jesusgestalt vor Augen zu führen, an die katholischen Theologen Romano Guardini und Hans Urs von Balthasar erinnert, die schon vor Jahrzehnten ihre Grundüberzeugung ausgesprochen haben, dass eigentlich nur der Jesus der Evangelien wirklich einleuchte.

Gemeinschaft mit Gott als Seinsmitte Jesu

Es handelt sich beim Buch des Papstes nicht um eine Biographie, sondern um ein theologisches Portrait Jesu, das seinen Weg auf Erden von der Taufe im Jordan bis zu seiner Verklärung auf dem Tabor und seine Verkündigung zu verstehen versucht. Der noch ausstehende zweite Teil wird sowohl die Kindheitsgeschichten als auch Prozess und Passion Jesu und natürlich seine Auferstehung behandeln. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich also auf das öffentliche Wirken Jesu und damit auf die so genannten „Mysterien des Lebens Jesu", mit denen in der Spiritualität des Mittelalters und der frühen Neuzeit die einzelnen Phasen des irdisch-geschichtlichen Weges Jesu bezeichnet wurden (4).

Durch das ganze Buch hindurch zieht sich das Bemühen, die Türe für das Geheimnis Jesu zu öffnen, das der Papst im lebenslangen Gebetsdialog mit Gott, den Jesus seinen Vater nennt, ausfindig macht. Als Konstruktionspunkt des ganzen Buches gibt der Papst deshalb an: „Es sieht Jesus von seiner Gemeinschaft mit dem Vater her, die die eigentliche Mitte seiner Persönlichkeit ist, ohne die man nichts verstehen kann und von der her er uns auch heute gegenwärtig wird" (S.12). Das Buch enthält eine biblisch genährte Theologie der Mysterien des Lebens Jesu und liest sich wie eine theologisch-spirituelle Großerzählung vom öffentlichen Wirken Jesu, in dem sich sein innerstes Geheimnis als Sohn des Vaters immer mehr eröffnet und vor allem in der Bergpredigt zu Tage tritt: „Wir werden diese direkte Christologie bei unseren weiteren Meditationen als konstitutiv für die Bergpredigt im Ganzen erkennen" (S. 121).

Um dieses Lebensprojekt des Papstes verstehen und würdigen zu können, ist ein Blick auf die hermeneutischen Grundentscheidungen, von denen es geleitet ist, unabdingbar (5). Denn erst sie können erklären, warum dieses Buch so und nicht anders geschrieben ist. Diese Grundentscheidungen hängen entscheidend vom Offenbarungsverständnis von Papst Benedikt ab, das er rückblickend in seinen „Erinnerungen" so formuliert hat: „Offenbarung, das heißt das Zugehen Gottes auf den Menschen, ist immer größer als das, was in Menschenworte gefasst werden kann, größer auch als die Worte der Schrift… Die Schrift ist das wesentliche Zeugnis von der Offenbarung, aber Offenbarung ist etwas Lebendiges, größer und mehr – zu ihr gehört auch das Ankommen und das Vernommenwerden, sonst ist sie eben nicht Offenbarung geworden." (6)

Damit sind die drei wesentlichen hermeneutischen Leitlinien genannt, von denen das theologische Denken von Papst Benedikt maßgeblich geprägt ist und die bei der Lektüre seines Jesus-Buches mit zu bedenken sind.

Mehrwert der Offenbarung vor Schrift und Tradition

Bereits die erste hermeneutische Perspektive ist überraschend. Während es im theologischen Sprachgebrauch heute gängig geworden ist, die Heilige Schrift selbst als „Offenbarung" zu bezeichnen, sind für Papst Benedikt Offenbarung Gottes und Heilige Schrift nicht miteinander identisch. Er geht vielmehr vom Primat des Wortes Gottes vor der Schrift aus und betont den Mehrwert der Offenbarung als eines geschichtlichen Ereignisses gegenüber ihrer Bezeugung in der Heiligen Schrift und in der Tradition. Dies heißt, dass die Offenbarung der Schrift und der Tradition voraus liegt und sich in ihnen niederschlägt, aber nicht mit ihnen identisch ist. Von daher ist nicht nur ein „Sola-scriptura"-Prinzip ausgeschlossen, sondern es gibt auch nicht einfach zwei Quellen der Offenbarung, nämlich Schrift und Tradition. Es gibt vielmehr nur eine Quelle der Offenbarung, und diese ist das Christusereignis, das in den beiden Vermittlungsformen der Schrift und der Tradition weiter gegeben wird.

Die ganze Brisanz dieses Offenbarungsverständnisses kann man daraus ersehen, dass seinetwegen Joseph Ratzingers Habilitation an der Münchner Theologischen Fakultät im Jahre 1955 beinahe misslungen wäre, weil Professor Michael Schmaus in ihm einen gefährlichen Modernismus befürchtet hat, der auf eine Subjektivierung des Offenbarungsbegriffs hinauslaufen würde. Seine entscheidende Rehabilitation hat Joseph Ratzinger aber vor allem darin gefunden, dass wesentliche Dimensionen seines Offenbarungsverständnisses Aufnahme in die Offenbarungskonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils gefunden haben.

Bereits während des Konzils bei der Diskussion des Offenbarungsschemas im Jahre 1962 betonte der Papst als damaliger Konzilsberater vor den in der Anima versammelten deutschen Konzilsbischöfen: „In Wirklichkeit sind ja nicht Schrift und Überlieferung die Quellen der Offenbarung, das Sprechen und Sich-selbst-Enthüllen Gottes ist der unus fons, aus dem die beiden rivuli Schrift und Überlieferung hervorquellen." (7) Diese Sicht schließt ein, dass zur Offenbarung Gottes in Jesus Christus als einer geschichtlichen Wirklichkeit auch ein Subjekt gehört, das sie empfängt und ihrer inne wird. Von daher ist der Papst überzeugt, dass nur eine substanzielle, nämlich der Schrift und der Tradition verpflichtete Theologie zu einer wahren Verheutigung des Christusglaubens beitragen kann. Diese will er mit seinem Jesus-Buch leisten und vor allem mit dem Aufweis der symphonischen Stimmigkeit der biblischen Jesus-Gestalt zeigen, dass es auch heute vernünftig ist, an Christus zu glauben und als Christ zu leben, und zwar in jener „inneren Freundschaft mit Jesus" (S. 11), mit der das Christsein steht oder fällt. Insofern präsentiert sich das Jesus-Buch des Papstes mit seiner charakteristischen Christuszentralität als ein wissenschaftlich fundiertes Glaubensbekenntnis.

Einheit der beiden Testamente von Christus her

Die zweite hermeneutische Perspektive ist bereits in der Einführung zum Jesus-Buch – „Ein erster Blick auf das Geheimnis Jesu" – angezeigt: „In Jesus ist die Verheißung des neuen Propheten erfüllt. Bei ihm ist nun vollends verwirklicht, was von Mose nur gebrochen galt: Er lebt vor dem Angesicht Gottes, nicht nur als Freund, sondern als Sohn; er lebt in innerster Einheit mit dem Vater. Nur von diesem Punkt her kann man die Gestalt Jesu wirklich verstehen, wie sie uns im Neuen Testament begegnet" (S. 31): Jesus ist der neue Mose.

Während in der heutigen Exegese und Theologie Altes und Neues Testament gleichsam als zwei verschiedene Bücher betrachtet und denn auch von verschiedenen Disziplinen bearbeitet werden, ist für Papst Benedikt die Heilige Schrift nur als /ein/ Buch zu verstehen. Denn ihm ist es ein zentrales Anliegen, die tieferen Zusammenhänge neutestamentlicher Themen mit der alttestamentlichen Botschaft aufzuzeigen, so dass sowohl die innere Kontinuität zwischen Altem und Neuem Testament als auch die Neuheit der neutestamentlichen Botschaft aufscheint. Darin besteht das durchgehende Verfahren im Buch über Jesus von Nazareth, und zwar in der Überzeugung, dass nur eine solche Sicht dem im Neuen Testament bezeugten Selbstverständnis Jesu gerecht wird, der selbst aus dem Ganzen von Gesetz und Propheten gelebt hat. Jesus ist deshalb nur im Zusammenhang der messianischen Hoffnungen Israels zu verstehen, wobei seine Einordnung ins Judentum nicht der Nivellierung, sondern der Profilierung der Gestalt Jesu dient.

Das hermeneutische Prinzip besteht folglich in der „concordia testamentorum", nämlich in der Spannungseinheit von Altem und Neuem Testament, die bei Papst Benedikt christologisch-pneumatologisch vermittelt ist, wie er im Vorwort zur Neuauflage seiner theologischen Dissertation geschrieben hat: „Der entscheidende Schritt war also für mich, den Zusammenhang von Altem und Neuem Testament verstehen zu lernen, auf dem die ganze Vätertheologie beruht. Diese Theologie hängt an der Auslegung der Schrift; der Kern der Väterexegese ist die von Christus im Heiligen Geist vermittelte concordia testamentorum" (8).

Dies bedeutet konkret, dass die neutestamentlichen Schriften ihrem eigenen Verständnis nach „der Schrift", nämlich dem Alten Testament, nicht eine neue Schrift gegenüber oder an ihre Seite stellen. Sie stellen dem Alten Testament vielmehr das Christusereignis als den die Schrift auslegenden Geist gegenüber, so dass in dem geschichtlichen Jesus die Christus-Botschaft des Alten Testaments zur Erfüllung kommt. Denn wer Jesus ist, kann man nur vom Alten Testament her verstehen, aber auch das Alte Testament kann man letztlich nur im Licht des Christusereignisses verstehen. Nur von dieser christologischen Hermeneutik her, die in Jesus Christus den Schlüssel zur biblischen Botschaft findet, erschließt sich auch die Einheit der Heiligen Schrift. Papst Benedikt zeigt dies vor allem bei der Behandlung der Selbstaussagen Jesu – Menschensohn, Sohn, Ich bin es –, in denen seine Originalität aufleuchtet: „Alle drei Worte zeigen seine tiefe Verwurzelung in dem Wort Gottes, der Bibel Israels, dem Alten Testament auf. Aber erst in ihm erhalten all diese Worte ihren vollen Sinn; auf ihn haben sie sozusagen gewartet" (S. 406).

Kirche als Lebensraum der Offenbarung

Daraus ergibt sich die dritte hermeneutische Perspektive von selbst, dass zur Heiligen Schrift das sie verstehende Subjekt Kirche gehört: „Die Schrift ist eins von ihrem durchgehenden geschichtlichen Träger her, von dem einen Volk Gottes. Sie als Einheit lesen heißt daher, sie von der Kirche als von ihrem Existenzort her lesen und den Glauben der Kirche als den eigentlichen hermeneutischen Schlüssel ansehen." (9) Während in der heutigen Theologie die Begegnung des einzelnen Glaubenden mit der Heiligen Schrift im Vordergrund steht und damit gleichsam der individuelle Exeget zur dominierenden Auslegungsinstanz der Heiligen Schrift geworden ist, ist in den Augen von Papst Benedikt in vorzüglicher Weise die Wir-Gemeinschaft der Kirche der Lebensort, an dem die Heilige Schrift gelesen und verstanden werden kann, wie der Papst im Vorwort betont: „Das Volk Gottes – die Kirche – ist das lebendige Subjekt der Schrift; in ihr sind die biblischen Worte immer Gegenwart" (S. 20).

Diese kirchliche Dimension der Schriftauslegung nimmt der Papst vor allem im Evangelium des Johannes selbst wahr, von dem er sagt, bei ihm sei das Subjekt des Erinnerns „immer das Wir": „Er erinnert sich in und mit der Gemeinschaft der Jünger, in und mit der Kirche" (S. 273). Nicht zuletzt darin wurzelt die Zuversicht des Papstes, dass auch das Johannesevangelium uns den „wirklichen Jesus" zeigt und dass wir es – wie die synoptischen Evangelien - „getrost als Quelle über Jesus benutzen" dürfen (S. 277).

Weil auf der einen Seite die Schrift in und aus dem lebendigen Subjekt des wandernden Gottesvolkes gewachsen ist und somit der biblische Kanon in der Tradition der Kirche entstanden und gleichsam selbst ein Niederschlag von Tradition ist und weil auf der anderen Seite der Kanon der Heiligen Schrift die Tradition der Kirche maßgeblich geprägt hat, besteht die elementare Aufgabe der Exegese darin, den biblischen Text in demselben Geist zu lesen, in dem er geschrieben worden ist, und zwar indem man den Evangelien Wahrheit zutraut und zumutet. Damit nimmt Papst Benedikt jene Auslegungsmethode auf, die vor etwa dreißig Jahren in Amerika entwickelt worden ist, die sich „kanonische Exegese" nennt und deren Ziel darin besteht, die einzelnen Texte im Ganzen der einen Schrift und damit im Gesamtrahmen des Kanons zu lesen und zu verstehen, womit die einzelnen Texte verständlicherweise in ein neues Licht gerückt werden.

In der „kanonischen Exegese" erblickt der Papst eine „wesentliche Dimension der Auslegung, die zur historisch-kritischen Methode nicht in Widerspruch steht, sondern sie organisch weiterführt und zu eigentlicher Theologie werden lässt" (S. 18). Von daher wird auch das Selbstverständnis des Papstes deutlich, dass sein Jesus-Buch „nicht gegen die moderne Exegese geschrieben" ist, „sondern in großer Dankbarkeit für das viele, das sie uns geschenkt hat und schenkt" (S. 22). In der Tat setzt sich der Papst selbst intensiv mit Einsichten der historisch-kritischen Exegese auseinander und dokumentiert – in besonderer Weise bei der Behandlung der so genannten „Johanneischen Frage" (S. 260-280) – eine reiche Kenntnis des exegetischen Forschungsstandes.

Das Jesus-Buch des Papstes ist aber als Versuch zu verstehen und zu würdigen, über die bloss historisch-kritische Auslegung - die nicht selten, wie der Papst im Zusammenhang der Erörterung der Menschensohnworte Jesu messerscharf bemerkt, zu einem „Friedhof von einander widersprechenden Hypothesen" (S. 372) geführt hat - hinaus neue methodische Einsichten anzuwenden, die eine „eigentlich theologische Interpretation der Bibel" gestatten (S. 22). Denn wie sehr auf der einen Seite die historische Methode eine unverzichtbare Dimension der exegetischen Arbeit ist und bleibt, so sehr gilt es, auch die Grenzen der historisch-kritischen Methode zu erkennen und anzuerkennen. Auf diesem Wege will der Papst den für einen redlichen Glaubensvollzug dramatischen Riss zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens heilen, den er als „Urtrennung von Jesus und Christus" bezeichnet und über ihn geurteilt hat, dass er mit innerer Notwendigkeit immer neue Teilungen nach sich gezogen hat (10).

Theologische Auslegung der Schrift

Primat des Offenbarungsgeschehens vor dem Offenbarungszeugnis, christologisch vermittelte Einheit von Altem und Neuem Testament und Interpretation der Offenbarungszeugnisse im Lebensraum der Kirche sind die drei wesentlichen hermeneutischen Perspektiven der exegetischen Arbeit des Papstes, von der er gesagt hat, dass sie stets „das Herzstück meiner wissenschaftlichen Arbeit" gewesen sei (11). Sie ist aber im Kern eine theologische Interpretation der Bibel, die freilich den historischen Ernst nicht aufgeben will, aber doch über die bloß historisch-kritische Auslegung hinausgeht. Diese theologische Exegese des Papstes orientiert sich an der spirituellen Schriftauslegung der Kirchenväter, die er auch für heute, freilich unter veränderten Bedingungen, fruchtbar machen will. Nur mit diesem Notenschlüssel wird man das Buch von Papst Benedikt XVI. über Jesus von Nazareth adäquat verstehen, seine Grundanliegen recht würdigen und die Herausforderung wahrnehmen können, die sie für die theologische und exegetische Arbeit und in besonderer Weise für das jüdisch-christliche Gespräch von heute und morgen darstellt.

Das Jesus-Buch ist das große Lebenswerk des Papstes, auf das hin er gearbeitet hat, gleichsam die Summe seines theologisch-exegetischen Denkens. Benedikt hat es nicht geschrieben, weil er Papst geworden ist, sondern weil er als überzeugter Christ und Theologe Zeugnis vom Christusglauben ablegen und deshalb dieses Buch auf jeden Fall schreiben wollte. Es ist die Erfüllung seines Lebenswunsches, der sich ihm angesichts des Auseinanderklaffens zwischen wissenschaftlicher Forschung und dem Glauben der Kirche stets deutlicher aufgedrängt hat. Von daher müsste man eher sagen, er habe dennoch an ihm weiter geschrieben, wiewohl er zum Papst gewählt worden ist. Auf der anderen Seite liegt es natürlich nahe, dass der Nachfolger des Heiligen Petrus sich veranlasst sieht, auf die alles entscheidende Frage Jesu an Petrus „Liebst du mich?" (Joh 21, 16) und „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" (Mt 16, 15) eine hilfreiche Antwort in die heutige Zeit hinein zu geben. Man kann deshalb das Jesus-Buch des Papstes als Petrusbekenntnis der Gegenwart verstehen.

Beiden Dimensionen wird in der Doppelbenennung der Autorschaft Rechnung getragen: „Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.". Von daher kann man auch verstehen, dass er im Vorwort ausdrücklich vermerkt, sein Jesus-Buch stelle in keiner Weise einen lehramtlichen Akt dar, es sei vielmehr Ausdruck seines persönlichen Suchens „nach dem Angesicht des Herrn" und es stehe deshalb jedermann frei, ihm zu widersprechen. In dieser Zusage zeigt sich nicht nur eine große Offenheit für kritische Auseinandersetzungen, sondern auch die hohe Wertschätzung, die der Papst der Theologie im Leben der Kirche entgegenbringt. Als einen „Lehrer, der zuhört" – mit diesen schlichten, aber treffenden Worten charakterisiert denn auch der katholische Theologe Thomas Söding den Papst und fügt hinzu, dies sei eine „Vision für das Papstamt mit ungeahnten Perspektiven" (12) .

Von den Lesern und Leserinnen erwartet der Papst nur jenen „Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt" (S. 22). Dass das Jesus-Buch von Papst Benedikt XVI. mit diesem erbetenen „Vorschuss an Sympathie" aufgenommen werde, dies bleibt zu wünschen, weil es ihn wirklich verdient. Denn das Jesus-Buch und das ganze theologische Denken von Papst Benedikt ist – wie bereits sein erstes großes Werk im Jahre 1968 - „Einführung in das Christentum" in der für ihn charakteristischen Verknüpfung von gläubig-denkerischer Durchdringung und existenziell-spiritueller Erschließung des menschlichen Lebens und des christlichen Glaubens, der in seiner ganzen Schönheit vor Augen geführt wird.

***

(1) J. Ratzinger, Vorwort zur Neuauflage der Einführung in das

Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis

(München 2000) 26.

(2) J. Cardinal Ratzinger, Unterwegs zu Jesus Christus (Augsburg 2003) 8.

(3) J. Ratzinger – Benedikt XVI., Jesus von Nazareth (Freiburg i. Br.

2007) 20-21. Die folgenden Zitationen im Text beziehen sich auf dieses

Buch.

(4) Einen ersten Versuch in dieser Richtung hat Papst Benedikt XVI.

bereits vorgelegt in: Der Gott Jesu Christi. Betrachtungen über den

Dreieinigen Gott (München 1976), bes. 56-84.

(5) Die diesbezüglich wichtigsten Schlüsseltexte sind neu zugänglich bei

J. Ratzinger – Benedikt XVI., Wort Gottes. Schrift – Tradition - Amt,

hrsg. von P. Hünermann – Th. Söding (Freiburg i. Br. 2005). Zur Thematik

vgl. R. Vorderholzer, Die biblische Hermeneutik Joseph Ratzingers, in:

Münchner Theologische Zeitschrift (5/2005): Ein Theologe in der

Nachfolge Petri: Papst Benedikt XVI., 400-414; Th. Söding, Die

Lebendigkeit des Wortes Gottes. Das Verständnis der Offenbarung bei

Joseph Ratzinger, in: F. Meier-Hamidi / F. Schumacher (Hrsg.), Der

Theologe Joseph Ratzinger (Freiburg i. Br. 2007) 12-55.

(6) J. Kardinal Ratzinger, Aus meinem Leben. Erinnerungen (Stuttgart

1997) 129.

(7) Zit. bei N. Trippen, Joseph Kardinal Frings = Veröffentlichungen der

Kommission für Zeitgeschichte B 104 (Paderborn 2005) Band II, 314.

(8) Vorwort zur Neuauflage von J. Ratzinger, Volk und Haus Gottes in

Augustins Lehre von der Kirche (St. Ottilien 1992) XV.

(9) J. Ratzinger / Benedikt XVI., Wort Gottes. Schrift – Tradition –

Amt, hrsg. von P. Hünermann und Th. Söding (Freiburg i. Br. 2005) 88.

(10) J. Kardinal Ratzinger, Christologische Orientierungspunkte, in:

Ders., Schauen auf den Durchbohrten. Versuche zu einer spirituellen

Christologie (Einsiedeln 1984) 13-40, zit. 38.

(11) J. Ratzinger, Vorwort in: J. Ratzinger (Hrsg.), Schriftauslegung im

Widerstreit (Freiburg i. Br. 1989) 10.

(12) Th. Söding, A Listening Pope, in: M. Kopp (Hrsg.), Und plötzlich

Papst. Benedikt XVI. im Spiegel persönlicher Begegnungen (Freiburg 2007)

Bischof Dr. Kurt Koch / ZENIT.org